„Australian made“: Lokale Lebensmittel im Fokus
Covid-19 und der Wunsch nach Nachhaltigkeit sind die Treiber der positiven Entwicklung des heimischen australischen Lebensmittelmarktes.
Auf dem Papier ist Australien eines der nahrungsmittelsichersten Länder der Welt: Es könnte den Bedarf an Lebensmitteln für das Dreifache seiner Bevölkerung decken (Quelle: Australian Food & Grocery Council).
Die globale Covid-19-Pandemie hat jedoch Schwächen in den Lieferketten aufgezeigt und für einen Anstieg der lokalen Ernährungsunsicherheit gesorgt (Quelle: KPMG). Aufgrund von Grenzschließungen konnten dringend benötigte saisonale Arbeitskräfte nicht einreisen. Zudem wurde der internationale Flugverkehr reduziert, sodass der Import von landwirtschaftlichen Gütern zurückging.
Die Reaktion der australischen Regierung: die Stärkung regionaler Erzeuger, des interkontinentalen Lebensmitteltourismus‘ und des Gastgewerbes mit Hilfe gezielter Initiativen. Und: Einige Australier nutzten sogar ihre Hinterhöfe, um eigene Lebensmittel anzubauen und so die Gesundheitsvorsorge selbst in die Hand zu nehmen. Parallel wurde deutlich, welche Potenziale australische Lebensmittel durch Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit für den Export haben können.
Bevorzugt lokal: aktuelle Marktzahlen
- Um essen zu gehen, bevorzugen ca. 84 % der Australier ein Restaurant, von dem sie wissen, dasses lokale Zutaten verwendet (Quelle: McCain).
- 84 % der Australier legen größeren Wert auf lokale Produkte. 83 % geben an, dass sie für lokaleMarken mehr bezahlen würden (Quelle: Google Year in Search For Brands).
- Mehr als 90 % der Artikel bei Obst und Gemüse, Fleisch, Milch und Eiern, die in australischenSupermärkten verkauft werden, stammen aus heimischer Produktion (Quelle: Department ofAgriculture, Water and the Environment Australia).
Australische Besonderheiten
Harte Lockdown-Regelungen haben einen entscheidenden Anteil daran, dass Australien einigermaßen gut durch die Covid-19-Pandemie gekommen ist bzw. kommt. In der Gesellschaft hat das ein starkes Gemeinschaftsgefühl hervorgerufen. Der Wunsch, die heimische Industrie zu unterstützen, führt zu einer erhöhten Sensibilität für die Herkunft von Lebensmitteln (Quelle: McCain).
Die Qualität und wirtschaftlichen Vorteile für die Industrie inspirieren australische Verbraucher, Einzelhändler und Köche dazu, Produkten aus regionalem Anbau den Vorzug zu geben. Laut einer Marktstudie von Mintel suchten während der Buschbrände 2019/2020 48 % der Australier nach lokal angebauten Lebensmitteln. Nachdem Covid-19 die Lieferketten unterbrochen hatte, stieg diese Zahl auf 52 %.
Da die internationalen Grenzen geschlossen sind, bieten der Inlandstourismus und die staatlichen Zuschüsse für Anbieter im Bereich „Foodreisen“ (wie zum Beispiel mit Bezug auf Wein) eine Chance für die gesamte Branche, ihre Position auf dem australischen Markt zu festigen. Einige Organisationen bauen darauf auf, indem sie Aufklärungskampagnen zu Lebensmitteln starten. Ein Beispiel: „Dairy matters“ von Dairy Australia. Themen sind unter anderem die positiven Auswirkungen auf die Umwelt, die Ernährung und den Lebensunterhalt der Landwirte. Darüber hinaus hat Dairy Australia eine Partnerschaft mit Airbnb geschlossen, um Roadtrips und Reisen zu „Dairy Destinations“ anzubieten, zu denen auch Besuche auf Bauernhöfen zählen.
In Städten helfen Farm-to-Table-Initiativen wie Grow Source Eat dabei, Nachbarschaftsbeziehungen durch hyperlokale Obst-, Gemüse- und Pilzabonnements aufzubauen. Grow Source Eat wurde von der kommunalen Lebensmittelinitiative Melbourne Food Hub ins Leben gerufen und bezieht Kräuter, Gemüse und Obst von einem Netzwerk aus städtischen Farmen und Erzeugern in der Umgebung. Um die Ernährungsunsicherheit zu bekämpfen, betreibt die Initiative ein Freiwilligenprogramm, bietet auf Anfrage vergünstigte Boxen an und spendet nicht-verwertete Produkte.„Die Pandemie hat sehr schnell deutlich gemacht, dass die Art und Weise, wie wir unser Geld ausgeben, einen Einfluss auf die Selbstversorgung Australiens haben kann“, erklärt Ben Lazzaro, CEO Australian Made Campaign.
Der Trend: Buschlebensmittel
Mit dem Anstieg des Lebensmittelanbaus in ganz Australien richtet sich die Aufmerksamkeit aufeinheimische Zutaten und essbare Pflanzen. Der Markt für Buschlebensmittel, bekannt für ihreUmweltverträglichkeit und ihre Superfood-Eigenschaften, hat ein Volumen von 12,7 Mio. €. Schätzungen zufolge werden jedoch nur 1–2% dieser Summe von Aborigines und Torres StraitIslanders erwirtschaftet (Quelle: National Indigenous Bush Food Symposium).
Die oft zu beobachtende „Ausbeutung“ des traditionellen Wissens der First Nations überLebensmittelanbau und -verarbeitung führt gesellschaftspolitisch zur Erwartung, verantwortungsvollzu handeln. So hat beispielsweise das auf Ingredienzen spezialisierte Unternehmen The AustralianSuperfood Co die Native Harvest Initiative ins Leben gerufen. Sie unterstützt lokale Gemeindendabei, ihre Ernteerträge zu steigern, um unter anderem die globale Nachfrage nach australischen Lebensmitteln noch besser bedienen zu können.
„Es gibt ein großes Interesse unter den Australiern, die gesundheitlichen Vorteile der einheimischen Buschlebensmittel zu verstehen und die Geschichten zu erzählen, woher unser Essen kommt“, so Dr. Yasmina Sultanbawa, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Queensland Alliance for Agricultureand Food Innovation.
Gehobene Restaurants und Fernsehkochshows wie MasterChef würdigen ebenfalls die einheimischeGeschmacksvielfalt und tragen dazu bei, die Binnennachfrage zu steigern. Ein Vorreiter ist das vielgelobte Restaurant Orana in Adelaide. Unter der Leitung von Chefkoch Jock Zonfrillo konzentriertsich die Speisekarte auf einheimische Produkte. Die Zutaten stammen von Bauern, Sammlern undFischern der Aborigines. Die von Zonfrillo gegründete Orana Foundation pflegt in Kooperation mitden Aborigines eine Datenbank für indigene Lebensmittel, um das traditionelle Wissen fürkommende Generationen zu bewahren.
Da sich die Entwicklung des Agrarsektors für indigene Lebensmittel noch in den Anfängen befindet,wird eine breitere Diskussion um Best-Practice-Beispiele geführt. Projekte wie das ARC Centre forUniquely Australian Foods arbeiten mit Ureinwohnern, Unternehmen und Beratungsgesellschaftenzusammen und stellen sicher, dass die zukünftige Vermarktung einheimischer Lebensmittel dieRechte der First-Nations-Völker schützt – insbesondere wenn es darum geht, mehr als 60.000 Jahrealtes Wissen in kommerzielle Produkte umzuwandeln.
Die urbane Zukunft ist essbar
Psychische Erkrankungen, Fettleibigkeit und Ernährungsunsicherheit sind wachsende Probleme in Australien. Umfrageergebnisse zeigen, dass der Anbau von Lebensmitteln helfen kann, diesen Problemen entgegen zu wirken. Ein Zitat aus einer Befragung: „Es gibt eine Zukunft, wenn man gärtnert.“
Die positiven Aspekte von (bewirtschafteten) Grünfl.chen veranlassen einige Stadtverwaltungen dazu, Initiativen für Bauherren aufzusetzen, wie etwa Melbournes Urban Forest Fund und Habitat Grants. Andere ermutigen Eigentümer, brachliegende Flächen für eine gemeinschaftliche Nutzung freizugeben. So war der Markt und Lebensmittelwald Pocket City Farms in der Innenstadt von Sydney früher ein Bowling Green.
Das verstärkte Interesse der Australier an einheimischen Lebensmitteln weckt auch das Interesse an vorkolonialen Anbaumethoden. In Sydney bewahrt Indigrow, eine Gärtnerei für Buschlebensmittel der Aborigines, die einheimische Permakultur und fördert deren Verbreitung. Sie konzentriert sich auf kulturell wichtige und – vor allem in Zeiten des Klimawandels - gefährdete Arten und bietet der Aborigines-Jugend neben Arbeitsperspektiven auch die Möglichkeit, sich der eigenen Tradition bewusst zu werden.
Wie die Zukunft der städtischen Lebensmittelproduktion in Australien aussehen könnte, zeigen zwei ehrgeizige Projekte. Ziel des Melbourner Skyfarm-Projekts von Biofilta ist es, einen überdachten Parkplatz in eine weitläufige Farm, einen Obstgarten, ein Bienenhaus und ein Lernzentrum umzuwandeln. Pro Jahr sollen mehr als fünf Tonnen Lebensmittel produziert werden, wobei ein großer Teil für wohltätige Zwecke bestimmt ist. Eine Blaupause für den zukünftigen Hausbau bietet das Future Food System des Öko-Innovators Joost Bakker. Hier wird das Haus zum Null-Abfall Ökosystem, das die Natur nachahmt, indem es wächst, nährt und düngt. In einer sechsmonatigen öffentlichen Probephase leben zwei Personen in dem autark arbeitenden Haus, das über 250 verschiedene Pflanzen-, Pilz- und Tierarten kultiviert.
Auf einen Blick: die Kernpunkte
1. Die Australier achten zunehmend auf die Herkunft ihrer Lebensmittel und die Auswirkungen bei Erzeugung und Verbrauch. Statt importierter Waren bevorzugen sie heimische Produkte von lokalen Erzeugern. Das trägt dazu bei, dass sich Australiens Agrarwirtschaft stabilisiert und wächst.
2. Die Nachfrage nach Produkten, die auf Australiens nährstoffreicher und widerstandsfähiger Pflanzenwelt basieren, steigt. Lokale Unternehmen und Investoren werden zunehmend danach beurteilt, ob sie verantwortungsvoll mit Australiens Ureinwohnern zusammenarbeiten.
3. Das Bewusstsein für die positiven Auswirkungen städtischer Grünflächen wird größer. Unternehmen und Marken können Verbraucher mit urbanen Projekten ansprechen, die Lebensmittelanbau und -sicherheit mit Gemeinschaftserlebnis, Wohlbefinden und Bildung verbinden.
Copyrights des Artikels: The Future Laboratory, https://www.thefuturelaboratory.com/, Autor Noelle Faulkner