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Chancen im E-Food Business

12.07.2021

Interview mit Unternehmer, Investor und E-Food Experte Dominique Locher

Copyrights: Dominique Locher, emophoto

Dominique Locher bezeichnet sich selbst als überzeugter Foodie und hat sich als E-Food Experte im Markt einen Namen gemacht. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der HSG in St. Gallen, in Cambridge und an der Stanford Universität in Kalifornien, verschlug es den Schweizer direkt zu Nestlé nach Asien, wo er im Bereich Marketing und Verkauf tätig war. 1998 wagte er den kalten Sprung von der „Corporate Welt“ ins Unternehmertum zuerst als Leiter Marketing/Verkauf und Logistik und dann als Geschäftsführer von LeShop, einer der ersten Online-Supermärkte und Pioniere im Online-Lebensmittelhandel. Nach erfolgreichem Exit aus der MIGROS Schweiz, zog es Locher wieder ins Ausland zu weiteren Stationen als Projektleiter eFood bei OZON in Russland, als E-Food-Board bei Migros Türkei oder als aktiver Beirat des Edeka-Lieferdienstes Bringmeister. Hier konzentrierte sich der sympathische Schweizer im Schwerpunkt seiner Tätigkeiten auf die Bereiche Digitalisierung, Einzelhandel und Konsumgüter für Fast-moving consumer goods (FMCG).

Auf der einen Seite investiert Locher als Unternehmer und Investor selbst in Firmen, die sich in der Lebensmittelwertschöpfungskette zwischen Farm und Fork bewegen. Investitionen in den Schweizer online Hofladen Farmy.ch, dem Lieferschnelldienst Jiffy in London oder die Einkaufslisten-App Bring! sind hier nur einige Beispiele. Er selbst sagt:

„Titel sind ein Relikt aus der Corporate Welt und entsprechend waren diese mir schon immer egal, ich will einen Impact haben und den Teams dieser Firmen helfen das Geschäft noch besser zu machen und zu beschleunigen.“

Auf der anderen Seite ist Dominique Locher im Verwaltungsrat bzw. im Beirat von verschiedenen Pure Playern oder im Einzelhandel tätig und berät hier im Bereich Online-Lebensmittelhandel auf internationaler Ebene. Zusätzlich unterstützt er Private Equity- bzw. Venture Capital Unternehmen in der Suche nach den richtigen Investitionen. Das Anuga-Team sprach mit dem E-Food-Experten über die Herausforderungen im Markt und welche Rolle Food Delivery Services in Zukunft spielen werden.

Copyrights: Dominique Locher, emophoto

Herr Locher, Die anhaltende Corona-Pandemie treibt das Geschäft für Lieferplattformen weiter an. Laut Online Food Delivery Services Global Market Report 2021 wird der globale Markt für Online-Lebensmittel-Lieferdienste von 115,07 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 126,91 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 10,3 % anwachsen. Was sind aus Ihrer Sicht die Voraussetzungen für ein profitables Geschäft?

Es ist schon so, dass der Markt, der bislang noch in eine Art Dornröschenschlaf schlummerte, durch Corona wachgeküsst wurde. Die Entwicklungen sind durch die Pandemie in wenigen Wochen nachhaltig um mindestens 10 Jahre beschleunigt worden. Betrachtet man den europäischen Markt, so konnte hier ein stolzes Wachstum von 55 bis 60 Prozent im E-Food Business verzeichnet werden. Im ersten Halbjahr 2019 lag dieses noch bei etwas über 2 Prozent, im 1. Halbjahr 2020 bereits bei knapp 5 Prozent. Hier ist also eine wahnsinnige Beschleunigung passiert. Wenn wir über die Voraussetzungen für ein profitables Geschäft sprechen, dann braucht es ein gewisses Volumen, was wir durch dieses exponentielle Wachstum nun erreicht haben. Die Frage ist wie Profitabilität definiert wird. Schaut man nur auf den Kanal an sich oder betrachte ich diese aus einem Omnichannel-Ansatz heraus. Ich empfehle dringend einen holistischen Ansatz, denn man fragt ja nicht, ob der Kunde eine Banane online oder offline einkauft. Fest steht, der Kunde geht bei einem Händler einkaufen, sei dies in einem klassischen analogen oder nun digitalen Format desselben LEH Händlers. Daher sollte die Frage lauten, ist der Kunde als solches profitabel? Natürlich gibt es auch Kanäle, die an sich profitabel sind oder waren, etwa LeShop. Aber viel wichtiger ist die ganzheitliche Betrachtungsweise.

Kunden kombinieren Kanäle, es ist kein Entweder-Oder-, sondern ein Sowohl-als-auch-Einkaufsverhalten, das der Konsument an den Tag legt. Somit gibt der Omnnichannel-Kunde in der Regel meist doppelt so viel aus als einer, der sich nur in einem Kanal bewegt, was demnach sehr viel profitabler ist. Diese Zahlen kann ich durch meine Arbeit bei LeShop, Sainsbury, Amazon Whole Foods und auch Tätigkeiten in Deutschland vollumfänglich bestätigen. Das heißt, der Kombikanalkunde ist deutlich loyaler, hat eine höhere kombinierte Einkaufsfrequenz und sein Share of Wallet im Kanal ist größer.

Als Unternehmen muss es mir also gelingen, dass Kundenversprechen einzuhalten. Der Kunde möchte sein Sortiment in hoher Qualität, pünktlich zum gewünschten Zeitpunkt mit einem Lächeln geliefert bekommen. Wenn diese Basis nicht gegeben ist, rechnen sich beispielsweise höhere Kundenakquisitionskosten kaum. Die Operational Excellence, also die Optimierung der Kernprozesse in der Wertschöpfungskette im Hinblick auf Effektivität und Effizienz, muss gegeben sein. Ohne Frage, Einzelhandel ist ein schwieriges Geschäft, um es profitabel zu gestalten. Die Marge muss groß sein, da sich alles um einen großen durchschnittlichen Warenkorb dreht. So sollten Händler vor allem auf einen Produktmix setzen und nicht nur auf ein Segment wie Getränke, um am Ende die Kosten, etwa für die Bereitstellung des Sortiments oder Lieferkosten, zu tragen. Es ist demzufolge ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren. Nehmen wir Gorillas, die ein Sortiment von zirka 1.000 bis 1.500 Produkten haben, und in knapp 10 Minuten liefern. Hier kompensieren Geschwindigkeit und die Zustellgarantie ohne Lieferfenster-Reservation die Größe des Sortiments.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Food Delivery Business bzw. Online-Lebensmittelhandel?

Häufig steckt das alte klassische Einzelhandelsdenken immer noch in den Köpfen der Geschäftsleitungen. Das Onlinegeschäft wird nur marginal angeschaut und oft als kannibalisierend oder sogar störend ablenkend betrachtet. Hier liegt demnach die erste Herausforderung, ein Umdenken einzuleiten. Schaut man sich Länder an, die bereits erfolgreich im Onlinehandel unterwegs sind, so kann man immer eine Parallele ziehen zwischen der Konzentration des Einzelhandels ziehen. Ist die Konzentration des klassischen Einzelhandels groß, ist die Frage, wie der Onlinehandel betrachtet wird. Nehmen wir das Paradeland Großbritannien. Hier haben Händler wie Tesco oder Sainsbury schon vor 20 Jahren auf die Onlinekarte gesetzt. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Einkauf im Laden oder nach Hause, es gibt store pick und Darkstores mit Heimlieferung und/oder click and collect – die Grenzen sind fließend. Vor COVID-19 lag der Anteil im Onlineeinzelhandel dieser Händler bei 7 Prozent und sie sind jetzt bereits bei 13 bzw.15 Prozent. Diese Händler haben es also verstanden, das Onlinegeschäft in das Gesamtunternehmen zu integrieren und den E-Food-Handel zu pushen. Ähnlich sieht das in Frankreich mit Händlern wie Carrefour oder E.Leclerc aus, die bereits früh auf das Online Business gesetzt haben. Deutschland ist hier mit dem starken Discountergeschäft vergleichsweise abgeschlagen und könnte hier mehr tun. Für das Food Delivery Business selber gibt es natürlich weitere Herausforderungen, um den anspruchsvollen Kundenanforderungen nachzukommen. Das heißt es ist heute sehr viel entscheidender, den Convenience-Gedanken mit dem Geschwindigkeitsgedanken zu kombinieren. Hinzu kommt ein Sortiment, das groß und frisch ist und am besten persönlich nach Hause geliefert wird.

Wer sind die derzeitigen Gewinner und Verlierer im globalen Markt?

Der große Gewinner ist der Kunde, denn vor der Pandemie war das Geschäft häufig eine Frage der Kapazitäten sowie des Angebots und nicht unbedingt der Nachfrage. Durch die enorme Beschleunigung des E-Food und Delivery Businesses stehen die Kapazitäten nun zur Verfügung, da die Händler hier investiert und ausgebaut haben. Und nicht nur das, sie haben auch verstanden, dass der Online-Lebensmittelhandel nicht nur ein Luxusthema ist, sondern die Nachfrage des Kunden hier enorm wächst. Das heißt, man muss hier mitmachen, um am Markt bestehen zu bleiben. Weitere Gewinner sind alle Onlinehändler, insbesondere Pure Player, die im vergangenen Jahr extrem an Fahrt aufgenommen haben. Farmy, der Online-Hofladen aus der Schweiz, hat seinen Umsatz 2020 fast verdreifacht. Vor allem neue ältere Zielgruppen konnten hier hinzugewonnen werden, da sie aufgrund von COVID-19 nicht in den Laden gehen wollten. Im ersten Quartal 2020 wurden in Europa 324 Mio. Euro in Start-up Food Tech Unternehmen investiert. Ein Jahr später waren es 2,4 Milliarden Euro, das heißt 7,5-mal mehr. Das sind vor allem Unternehmen wie Gorillas aus Deutschland, Rohlik aus Tschechien (Knuspr in Deutschland), Kolonial aus Norwegen oder Getir aus der Türkei und natürlich unsere Start-up Jiffy in England, die vom Kapitalmarkt beflügelt werden, um den Kunden einen Service anzubieten. Ebenfalls wichtige Gewinner sind Produzenten und Hersteller im Lebensmittelhandel, die aufgrund der Einbrüche im Außer-Haus-Markt ihre Vertriebswege direkt zum Kunden ausgebaut haben – das Buzzword D2C lässt grüßen. Wenn wir einen Blick auf die Verlierer werfen, sind dies vor allem diejenigen, die nicht reagiert bzw. die Gunst der Zeit genutzt haben und die nicht verstanden haben, dass es einen massiven Kanalwechsel von Offline zu Online gegeben hat. Auch diejenigen, die weiterhin ignorant nur an ihr klassisches Modell glauben und nicht die kombinierte Welt von Online und Offline sehen, werden auf Dauer nicht überleben.

Sie selbst haben gerade in den Schnelllieferdienst Jiffy investiert, der sich zunächst auf Großbritannien fokussiert. Sind Schnelllieferdienste die Zukunft? Welche Vorteile hat dieses Modell gegenüber dem klassischen Online-Foodhandel?

Das ist richtig, ich bin sogar Gründungsmitglied von Jiffy. Der Vorteil der neuen Schnelllieferdienste liegt vor allem daran, dass Bequemlichkeit mit Speed kombiniert wird und die Gewissheit bei Bedarf beliefert zu werden ohne vorab ein Lieferfenster zu ergattern – denn letztere gibt es nicht mehr. Darüber hinaus bieten diese Dienste Sicherheit im Hinblick auf die gewünschte Lieferung, denn im klassischen Online-Supermarkt müssen die Kunden in der Regel ein Lieferfenster reservieren, das unter Umständen nicht mehr an dem Wunschtermin zur Verfügung steht. Bei den Quick Commerce Playern haben die Konsumenten die Sicherheit beliefert zu werden, und zwar dann, wann sie es brauchen. Die garantierte Lieferung ohne Vorabreservierung ist ein entscheidender Vorteil der Schnelllieferdienste. 60 % der Jiffy-Kunden kaufen vier oder mehrmals pro Monat ein. 25 % der Kunden kaufen achtmal oder mehr im Monat ein. Einige nutzen den Dienst sogar mehrfach am Tag, da diese Dienste so süchtig machen. Das ersetzt zu gewissen Zeiten sogar den Kühlschrank oder das Kühlfach. Warum muss ich mein Eis oder meine Pizza im kleinen Kühlfach lagern, wenn ich dieses innerhalb von zehn Minuten geliefert bekomme?

Ein weiterer Vorteil der Schnelllieferdienste ist, dass sie oft nachhaltiger agieren, da sie per Fahrrad oder Elektrofahrzeug ausliefern. Zusätzlich können Schnelllieferdienste in der Regel auf umfangreiche Kühlung mit Kühlakkus oder Trockeneis sowie Verpackungen verzichten, da die Lieferung in kürzester Zeit mit Kühltaschen von A nach B transportiert wird. Bei Jiffy sind zum Beispiel auch die Minidepots immer in der Nähe von Wohngebieten, so dass hier kurze Wege gewährleistet sind. Fakt ist, in diesem Markt steckt unheimlich viel Dynamik und auch hier stehen nicht die klassischen Einzelhändler dahinter, sondern Pure Player, die begriffen haben, dass hier großes Potenzial liegt. 60% der Einkaufsroutine der Kunden sind geplant – dies ist z.B. der große Wocheneinkauf. Für diese geplante Einkaufsroutine stand bislang als Alternative zum Gang in den klassischen LEH der Online-Supermarkt. Convenience war hier das Hauptargument. Für die übrigen 40% der Einkaufs-Missionen, nämlich das spontane Einkaufen ohne Planung oder für „Stress-Einkäufe“ (ich brauche dringend Eier & Mehl zum Backen – mir ist die letzte Windel ausgegangen – ich brauche Bier und Snacks und ich sitze vor dem TV und verfolge ein spannendes Länderspiel), bot der klassische Online Supermarkt mit Lieferung am Folgetag oder bestenfalls Gleichtags keine valable Alternative zum Gang in den Laden dar. Nun wird diese geschützte analoge Einkaufsbastion durch den bequemen online Schnelllieferdienst eingenommen. Insofern wird das Quick Commerce Business definitiv auch in Zukunft eine große Rolle spielen.